„Die Kelly Family braucht auch schon mal über 100 Frequenzen“

„Die Kelly Family braucht auch schon mal über 100 Frequenzen“

„Die Kelly Family braucht auch schon mal über 100 Frequenzen“ SOS - Save our Spectrum

Michael Weber aus Erwitte in Nordrhein-Westfalen ist einer der bislang noch wenigen Frequenzmanager der deutschen ProAudio-Branche. Er hat mehr als 25 Jahre Erfahrung in der professionellen Beschallungstechnik und ist in den Bereichen FoH (Front of House; Beschallungsregie) und Frequenzmanagement tätig. Weber wirkt auch als Referent bei ProAudio-Workshops. 2018 begleitete er unter anderem die Tour der „Kelly Family“ durch sieben europäische Länder. Derzeit absolviert Weber ein berufsbegleitendes Studium im Bereich der Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften.

Weber unterstützt die Initiative „SOS – Save Our Spectrum“ und hat im folgenden Gastbeitrag seine Erfahrungen im Frequenzmanagement aufgezeichnet – und auch seine Forderungen an Politik und Anwender:

Die Komplexität steigt

In den letzten Jahren wurde die Funktechnik in der Live-Beschallungstechnik immer komplexer. Das geschah unter anderem wegen des ständig wachsenden Bedarfs an Sendestrecken. Zudem gab es eine Eingrenzung des zur Verfügung stehenden Frequenzbereiches. Das Stichwort ist hier „Digitale Dividende“, also die Neuvergabe von Frequenzbereichen, die bislang von der Veranstaltungstechnik genutzt wurden, für DVBT und Breitband-Mobilfunk.

Michael Weber, Frequenzmanager

Was heißt das konkret bei Veranstaltungen? Früher kümmerte sich immer irgendjemand aus dem Team der Beschallungstechniker um die Sendetechnik. Häufig wurden einfach die Frequenzen der vorhergehenden Veranstaltung genutzt – das hat in den meisten Fällen funktioniert. Die steigende Komplexität der Funktechnik und die damit einhergehende Störanfälligkeit machen nun jedoch eine Spezialisierung im Bereich der Frequenznutzung, das sogenannte Frequenzmanagement, notwendig.

Die aktuelle Praxis bei Produktionen mit einem erhöhten Bedarf an Funktechnik und den entsprechenden Besonderheiten des Frequenzmanagements schildere ich am Beispiel der letztjährigen Tournee der Kelly Family.

Planungen für die Tour der Kelly Family

Im Zuge der Vorplanung wurde auf Basis der Künstleranforderung die Funktechnik ermittelt. Berücksichtigt werden musste die Gesamtzahl der notwendigen Frequenzen, szenische Besonderheiten (es gab eine abgesetzte Bühne im Publikumsbereich) sowie länderspezifische Vorgaben (die Produktion tourte durch Deutschland, Polen, Tschechien, Österreich, die Schweiz, Belgien und die Niederlande).

An den Veranstaltungstagen nahm der Auf- und Abbau der Funktechnik den geringsten Zeitaufwand in Anspruch. Einen Großteil des Tagesablaufs machten die Koordinierung der lokal benötigten Frequenzen (durch Haustechnik, Betriebsfunk etc.), die Analyse der Gegebenheiten am Veranstaltungsort (durch Scans der Frequenzbereiche und Berücksichtigung der regional genutzten DVBT-Kanäle), die Berechnung der für die Produktion verbleibenden Frequenzen sowie die Programmierung des mitgeführten Equipments aus.

Je nach Location waren dann noch Optimierungen notwendig, um ein 100% störungsfreies Setup realisieren zu können. Als Paradebeispiel für „spezielle Locations“ gilt in meinen Augen die Olympiahalle in München; direkt nebenan steht der Münchner Funkturm, der ein starkes Grundrauschen in vielen Frequenzbereichen verursacht. Aber auch einige Regionen haben es „in sich“. Das Ruhrgebiet wartet beispielsweise mit einer Vielzahl von durch DVBT belegten oder beeinträchtigten Frequenzbereichen auf.

Teilweise kann nur in „Grauzonen“ gearbeitet werden

Länderspezifische Vorgaben erschwerten den Ablauf. In einigen Ländern musste im Vorfeld eine vollständige Frequenzplanung eingereicht und angemeldet werden. Abweichungen vor Ort waren somit eigentlich nicht mehr möglich. In Anbetracht der unbekannten lokalen Einflussfaktoren konnte diese Vorgabe nur durch Nutzung einer gewissen Grauzone umgesetzt werden.

In Summe mussten während der Arena- und OpenAir-Tour der Kelly Family 65 Frequenzen gemanagt werden. Bei einer Gala waren es dann auch mal über 100. Und damit bewegte sich die Produktion noch in einem überschaubaren Rahmen. Bei TV-Produktionen managen Kollegen wie Svenja Dunkel und ihr Team auch mal deutlich über 200 Frequenzen.

Die aktuelle Situation sieht ab Anfang 2019 die Umsetzung der „Digitalen Dividende 2“ vor; für die professionelle Veranstaltungstechnik entfällt der bislang viel genutzte Frequenzbereich von 694 bis 790 MHz vollständig. Nachdem es schon in den letzten Jahren durch die Einführung von DVB-T2 und LTE deutliche Einschnitte in das nutzbare Frequenzspektrum gab, fallen somit weitere 30% der Frequenzbänder weg und es verbleibt nur noch der Frequenzbereich von 470 bis 694 MHz (der parallel mit den lokalen DVBT-Kanälen genutzt werden muss).

Arbeitsbereich von Michael Weber während der OpenAir-Tour; Rack mit den Empfangs- und Sendeeinheiten der Funktechnik

Die Folgen einer „Digitalen Dividende 3“ wären katastrophal

Was passiert, wenn es zu einer weiteren Eingrenzung des für ProAudio-Anwendungen zur Verfügung stehenden Frequenzbereiches kommt („Digitale Dividende 3“; Wegfall eines weiteren Frequenzbereiches bis 694 MHz)?

Zum einen würde die Aufgabe, die tatsächlich nutzbaren Frequenzen zu ermitteln, noch komplexer. Die Anforderungen an Fachpersonal würden zunehmen und Spezialisten wären auch schon bei kleinen Produktionen notwendig (in Verbindung mit den entsprechenden Mehrkosten für den Veranstalter). Zum anderen würde eine weitere Verknappung des Frequenzspektrums zu Einschnitten in die technische und somit auch künstlerische und organisatorische Umsetzung der Veranstaltung führen.

Natürlich lassen sich funkübertragene Mikrofon- und Monitorstrecken auch auf Basis einer Kabelanbindung lösen. Wie aber würde es aussehen, wenn der mit einem Headset ausgestattete Politiker oder Helene Fischer im Trapez ein Kabel hinter sich herziehen müssten? Bei Konzerten käme es zu einer gravierenden Beeinträchtigung der technischen Umsetzung von künstlerischen Erfordernissen. Das würde die gehobenen Ansprüche des Publikums an immer spektakulärere Shows beeinträchtigen.

Daher mein Aufruf: Bei den zuständigen Stellen in Politik und Verwaltung müssen dringend die Voraussetzungen für die zukünftige Nutzung von Funk-Technik in der Live-Veranstaltungstechnik berücksichtigt werden. Zu diesen gehören der planungssichere, nachhaltige Umgang mit dem in Frage kommenden Frequenzbereich sowie ein gezielterer Einsatz der Ressourcen durch eine optimierte Strukturierung (z.B. eine Bündelung der Frequenzen für Mobilfunkanbieter; aktuell ist jedem der drei großen Anbieter ein Teilbereich zugewiesen).

Funktechnik muss in der Ausbildung stärker thematisiert werden

Aber auch seitens der Anwender muss umgedacht werden.

Frequenzmanagement sollte schon in der Ausbildung einen Platz einnehmen. Derzeit ist Funktechnik in den Rahmenplänen für die Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik nicht einmal erwähnt und wird im Berufsschulunterricht nur sehr oberflächlich behandelt.

Entsprechende Vertiefungen und Refresher sollten seitens der Hersteller sowie durch Vereinigungen angeboten werden (es gibt bereits Ansätze, diese sind jedoch noch ausbaufähig). In diesem Zusammenhang sollte dann auch der anwendungsoptimierte Umgang mit den Sendeleistungen der einzelnen Geräte im Fokus stehen. „Alles auf Maximal“ ist hier kein Lösungsansatz, sondern führt zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung der Ressourcen.

Schon mit dem Fokus auf Live-Beschallungen betrifft das Thema „Digitale Dividende“ eine sehr große Gruppe: vom Hersteller, Verleiher, Anwender, Veranstalter, Referenten, Künstler bis hin zum Besucher. Erweitert man den Fokus, betreffen die Auswirkungen jeden, der Fernsehsendungen konsumiert und Veranstaltungen besucht.

 

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