Platzverweis für die Fußballberichterstattung

Platzverweis für die Fußballberichterstattung

Platzverweis für die Fußballberichterstattung 1050 675 SOS - Save our Spectrum
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DFB-Pokalfinale zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund, hier ein Foto aus dem Jahr 2012. Anders als 2014 gewannen hier die Dortmunder den Titel. Im Jahr 2012 fand vor Ort ebenfalls bereits eine Spektrumsmessung statt.

 

Rund 70.000 Fans im Berliner Olympiastadion sahen am 17. Mai 2014 ein packendes DFB-Pokalendspiel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund. Erst in der Verlängerung konnten die Bayern das Spiel nach hochkarätigen Chancen auf beiden Seiten für sich entscheiden. Millionen fieberten an Fernsehgeräten und Radios mit.

Spitzenspiele deutscher Mannschaften sind im In- und Ausland äußerst beliebt und bringen regelmäßig hohe Einschaltquoten. Doch damit könnte bald Schluss sein: Denn die Radio- und Fernsehteams aus aller Welt brauchen eine große Anzahl freier Frequenzen für drahtlose Mikrofone und Kameras, um live berichten zu können.

Technikexperten der DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik) waren auf Einladung des Produzenten Sportcast GmbH beim DFB-Pokalfinale 2014 vor Ort und haben den Bedarf an Funkspektrum gemessen. Das Ergebnis: Bald wird es nicht mehr genug Spektrum für alle anwesenden Reporter geben – nur noch ausgewählte Teams werden dann live berichten können. Schuld daran ist die Versteigerung von bisher für die Rundfunkproduktion genutzten Frequenzen an den Mobilfunk, die so genannte „Digitale Dividende 2“. Bundespolitik und Bundesnetzagentur haben bisher keine brauchbaren Ersatzfrequenzen für das verlorene Spektrum bereitgestellt. Millionen Fußballfans weltweit werden darunter zu leiden haben, falls die Politik nicht endlich handelt. Hier ein Blick hinter die Kulissen.

Grafik 1: Frequenzverluste durch Spektrumsverkäufe der Regierung

Grafik Übersicht Spektrumsverluste Berlin_web

Grafik 1 zeigt den Frequenzverlust drahtloser Produktionsmittel (englisch PMSE, Programme Making and Special Events).

Vor der ersten Digitalen Dividende (DD1, Frequenzversteigerung im Mai 2010) standen in Berlin noch 39 freie TV-Kanäle für PMSE zur Verfügung. Das entspricht 312 MHz Bandbreite.

 

Die erste Digitale Dividende brachte eine Schrumpfung auf 30 TV-Kanäle oder 240 MHz Bandbreite.

 

Nach der Digitalen Dividende 2 (DD2, Frequenzversteigerung im Mai 2015) werden nur noch 17 TV-Kanäle oder 136 MHz Bandbreite verfügbar sein – nicht einmal die Hälfte der ursprünglich nutzbaren Frequenzen. Eine Live-Berichterstattung vom DFB-Pokalfinale aus dem Berliner Olympiastadion ist dann in der heutigen Form nicht mehr möglich.

 

Während der bevorstehenden Simulcast-Phase (Parallelausstrahlung DVB-T und DVB-T2) reduziert sich nach den bisher bekannten Planungen das freie Funkspektrum nochmals drastisch auf nur noch 8 TV-Kanäle oder 64 MHz Bandbreite – das Aus für die meisten Radio- und Fernsehteams.

 

 

Enormer technischer Aufwand

DFB-Pokal 2014_Uebertragungswagen

Übertragungswagen der verschiedenen Rundfunksender vor dem Stadion.

Um allen Fußball-Begeisterten ein live Erlebnis in bester HD-Qualität zu ermöglichen, wird für die Übertragung von Spitzenspielen ein enormer technischer und personeller Aufwand betrieben. Beim DFB-Pokalfinale am 17. Mai 2014 waren allein für die Firma Sportcast 371 Spezialisten tätig, zusätzlich noch Mitarbeiter der Rundfunkveranstalter und Journalisten. Nach Angaben der Produktionsleitung wurde das produzierte Material an rund 150 TV-Stationen im In- und Ausland geliefert, darunter ARD, ZDF, Sky, ORF, Orange (Polen), Viasat (Nowegen, Schweden, Dänemark), Russisches Fernsehen und Radio, ESPN do Brazil und Al Jazeera.

In Summe waren 250 drahtlose Verbindungen für die Berichterstattung in Betrieb. Diese wurden für drahtlose Mikrofone und Kameraübertragung, aber auch für die „Knöpfe im Ohr“ der Reporter, das so genannte In-Ear-Monitoring, gebraucht. 188 Übertragungsstrecken waren vorab in den Frequenzplanungslisten erfasst, 62 mussten kurzfristig koordiniert werden – für drahtlose Geräte, die von Journalisten spontan mit ins Stadion gebracht wurden. Es war genug freies Funkspektrum vorhanden, um die Rundfunk-Berichterstattung aller Teams sicherzustellen. Details finden Sie in dem ausführlichen Report am Ende des Artikels.

Digitale Dividende 2 bringt deutlichen Frequenzmangel

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Aufbau der drahtlosen Technik im noch leeren Berliner Olympiastadion vor dem Finale 2014.

Am 27. Mai 2015 wird die Bundesnetzagentur den Frequenzbereich 694 – 790 MHz als „Digitale Dividende 2“ an den Mobilfunk versteigern, damit dort das mobile Breitbandnetz weiter ausgebaut werden kann. Der Frequenzbereich ist dann für drahtlose Produktionen nicht mehr nutzbar. Nur noch das Spektrum 470 – 694 MHz ist zugänglich, wo es erheblich enger zugehen wird. Dies entspricht einem Verlust von 13 TV-Kanälen oder 104 MHz an Funkspektrum. Zusätzlich wird der TV-Kanal 48, der an die vom Mobilfunk belegten Frequenzen grenzt, voraussichtlich ebenfalls wegen LTE-Störungen ausfallen.

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Drahtlose Technik im Stadion, hier unter anderem Mikrofone des rbb.

Wie die Messungen vor Ort zeigen, betrifft dies 132 der insgesamt 250 Funkstrecken, die beim DFB-Pokalfinale 2014 noch in Betrieb waren. Sie müssten nach der Versteigerung in den niedrigeren Frequenzbereich verlegt werden. Dort ist aber nicht genug Platz für diese 132 Funkstrecken. Damit ist klar: Nach einer Versteigerung des 700-MHz-Spektrums könnte das Pokal-Endspiel in der bisherigen Form nicht mehr produziert werden. Nur noch 17 freie TV-Kanäle werden in Berlin dann für drahtlose Produktionsmittel nutzbar sein – Platz für insgesamt maximal knapp 140 Funkstrecken statt der 250 Stück im Jahr 2014.

Drastische Verschärfung durch Simulcast

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Messequipment während der Spektrumsmessung im Stadiongraben.

Die bereits nach der Digitalen Dividende 2 untragbare Situation wird sich während der so genannten Simulcast-Phase nochmals extrem zuspitzen. In dieser Phase wird das digitale Antennenfernsehen sowohl im Standard DVB-T als auch in DVB-T2 ausgestrahlt werden, damit die Verbraucher Zeit haben, sich neue Fernsehgeräte und Set-Top-Boxen zu kaufen. Dadurch belegen die TV-Sender zusätzliche Frequenzkanäle – Platz, der für drahtlose Produktionsmittel fehlen wird. Die Simulcast-Phase kann nach derzeitiger Planung mehrere Jahre lang dauern.

In dieser Zeit ist damit zu rechnen, dass in Berlin für PMSE lediglich noch 8 TV-Kanäle oder 80 MHz Bandbreite zur Nutzung verbleiben. Dort sind maximal noch etwa 60 bis 70 der 250 Funkstrecken unterzubringen, die beim DFB-Pokalfinale 2014 aktiv waren. Nicht nur für Großereignisse wie die Übertragung von Fußball-Spitzenspielen, sondern auch bereits für den Tagesbedarf ist dies viel zu wenig – also zum Beispiel für Pressekonferenzen, Universitäten und Theaterbühnen: Bereits im Jahr 2008 stellte die Bundesnetzagentur im Zentrum von Berlin einen täglichen Bedarf von 96 MHz Bandbreite für drahtlose Produktionsmittel fest. Da der Einsatz drahtloser Produktionsmittel immer mehr zunimmt und auch die Tonqualität immer höheren Anforderungen genügen muss, ist davon auszugehen, dass der Frequenzbedarf weiterhin steigen wird.

Fazit

Wohin also mit der Fußballberichterstattung? Bundespolitiker und Bundesnetzagentur können diese Frage bislang nicht beantworten: Es gibt kein schlüssiges Konzept, wie der Frequenzbedarf drahtloser Programmproduktionen künftig gedeckt werden kann. Ebenso wurde bislang kein Ersatzspektrum für die verlorenen Frequenzen aus der Digitalen Dividende 2 zur Verfügung gestellt.

Diese Versäumnisse müssen möglichst bald nachgeholt werden – Funkmikrofone und weitere drahtlose Produktionsmittel sind für die Rundfunkberichterstattung ein unverzichtbares Arbeitsinstrument. Können sie nicht mehr eingesetzt werden, so kommt dies einer Einschränkung des freien Rundfunkjournalismus gleich. Mit weitreichenden Konsequenzen für Millionen Fußballfans weltweit: Statt live an Radio- und Fernsehgeräten dabei zu sein, erfahren sie künftig das Spielergebnis nur noch in der Nachberichterstattung oder aus der Zeitung. Dass dies kein erstrebenswerter Zustand ist, darüber sollten sich die politischen Entscheidungsträger aller Couleur eigentlich einig sein. Die Devise heißt nun: handeln, bevor der Schaden eingetreten ist.

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Den gesamten DKE-Report mit näheren Hintergründen sowie ergänzende Detailgrafiken können Sie hier herunterladen:

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